Grand Canyon and Horseshoe Bend

On the Road – von breiten Straßen und tiefen Abgründen.

Sogar unser Mietwagen schnauft bei den 42 Grad in der Wüste Arizonas auf: Unendliche hügelige Wüstenlandschaft, Kakteen, ein unendlich wirkender Highway und alle paar Kilometer verlassene Tankstellen, noch verlassenere Häuser und vom Rost zerfressene Autowracks. Eine Kulisse, an die wir uns gewöhnen werden, denn unser Auto wird uns in 11 Tagen, durch vier Bundesstaaten, fünf Nationalparks und unendlich viele kleine Ortschaften bringen, in denen sich Fuchs und Hase gute Nacht und die großen Fastfoodketten guten Morgen sagen. Eines fällt sofort auf – das nächste Städtchen ist nah, wenn das goldene „M“ schon von Weitem zu sehen ist.

Nach einer dieser kleinen Ortschaften erreichen wir die Tore des Grand Canyon im Süden, am sogenannten South Rim. Die ersten Elche kreuzen die Straße, sichtlich unbeeindruckt von den Besuchern.

Bevor wir es überhaupt merken, tut sich vor uns eines der größten Naturwunder dieses Planeten auf. Ohne Gitter, Zaun oder sonstige Sicherung geht es 1800 Meter in die Tiefe. Um uns herum nicht nur unendlich wirkende Gräben, sondern auch eine französische Familie, deren Kinder fröhlich auf den Felsen herumspringen und ihrem Vater zurufen, er möge doch herschauen. Der Papa schaut nicht, dafür zucken wir bei jedem Sprung innerlich zusammen.

Wir bemerken erst jetzt, dass wir diesen gigantischen Ort genau zur Golden Hour erreicht haben, die Sonne geht langsam unter, der Wind bläst leicht, die Stimmung ist beim Anblick dieser unendlichen Tiefen, der Ruhe und dem gelblichen Licht fast einschüchternd. Man hört irgendwo das Echo rollender Steine und fragt sich was oder wer da unten wohl sein mag? Die Umrisse des Colorado River, der sich durch diesen Graben zieht, sind leicht zu erkennen. Ein bisschen erinnert der Ausblick an die Alpen in negativ. Das, was zu Hause nach oben ragt, ragt hier nach unten. Terrassenförmig türmen sich die Felsen am Rand hinauf, jede Gesteinsschicht in seinem eigenen Farbton.

Unser Ziel für diesen Tag befindet sich im Ort Page im Norden Arizonas – wir haben noch zwei Autostunden vor uns. Mittlerweile ist die Dunkelheit komplett über den Grand Canyon hereingebrochen. Straßenlaternen gibt es hier keine, wir sitzen in weit und breit dem einzigen Auto auf der Straße. Im Radio läuft irgendein Arizona-Sender der Country Musik spielt. Wir können weder erkennen was vor, hinter oder neben uns ist, wohlwissend dass der Canyon direkt neben uns seine Tiefen schlägt. Junges Paar, einsame Landstraße im Wald irgendwo im Westen Amerikas, absolute Dunkelheit, keine Menschenseele weit und breit, der Tank bald am Ende. So fängt jeder gute Horrorfilm an. Plötzlich taucht doch ein Auto hinter uns auf. Spätestens, als es beginnt mit den Lichtern aufzuleuchten, sehen wir die Zeitungsberichte über unser Verschwinden schon vor uns. Es überholt uns, wahrscheinlich waren wir einfach zu langsam. Wir erreichen eine kleine Tankstelle, und später heil und wohlauf Page.

Als die Sonne über Page aufgeht, ist jeglicher Gruselfilmfaktor dahin. Ein Diner, eine Kirche, ein paar kleinere Shops und eine Tankstelle, der Rest Einfamilienhäuser.

Direkt vor Page liegt Horseshoe Bend. Eine Mäander des Colorado River, die sich durch eine Schlucht im Canyon zieht. Was auf vielen Fotos im Internet immer nach abenteuerlicher Wanderung aussieht, gibt es hier quasi im Drive Through: Parkplatz neben der Straße und eine Vielzahl an Schildern, die den dringenden Mittransport von ausreichend Flüssigkeit empfehlen. Wir rechnen mit dem Schlimmsten. Ganze 12 Minuten dauert unser kräftezehrender Aufstieg zu diesem Naturwunder. Erneut ein ungesicherter Graben, an dem sich Touristen in Flip Flops tummeln und Selfies schießen. Dennoch beeindruckend, die Tiefe hat erneut etwas Furchteinflößendes. Wahrscheinlich gibt es in der Umgebung zahlreiche solche Mäandern oder Grabenöffnungen, Horseshoe Bend hat den Wettbewerb als Fotokulisse allerdings gewonnen.