Hong Kong

Es gibt Städte, bei denen spürt man bereits bei der Ankunft ein gewisses Flair. Die Luft riecht anders, sobald man aus dem Flugzeug steigt, die Fahrt vom Flughafen wird zur ersten Sehenswürdigkeit und man kann es kaum erwarten, diesen Ort, den man nur von Bildern kennt, zu erkunden. Nicht anders geht es uns in Hong Kong.

Die Stadt glitzert, schmale, ewig hohe Wolkenkratzer funkeln mit ihren Lichtern aus tausend Fenstern in den dunkelblauen Himmel, als wir spätabends ankommen. Nun verhält es sich mit Städten allerdings, wie auch mit Menschen: Ob sie schön sind, erkennt man nicht an ihrem Aussehen – und der erste Eindruck kann täuschen. Aus dieser Täuschung wird in den folgenden Tagen eine Enttäuschung. Und was für eine.

Hong Kong hat nämlich nicht nur gute sieben Millionen Einwohner, sondern auch ein gewaltiges Platzproblem. Die Wohnungen hier sind klein und kaum leistbar. So wohnen wir um ein gar nicht so unbeträchtliches Sümmchen in einer Abstellkammer in Tsim Sha Tsui. Wir sind uns nicht ganz sicher was zuerst da war – das Zimmer oder das Bett? Geduscht wird in der Kloschüssel. Vor Fahrstühlen gibt es prinzipiell Schlangen, man wartet hier gut und gerne fünfzehn Minuten um in den dreißigsten Stock zu fahren. Menschen verbringen ihre Zeit vor U-Bahn Eingängen und unter Brücken, weil ihr zu Hause zu klein ist um dort, nun ja, zu leben?

Aber nur, weil es hier nicht genügend Platz zum Leben gibt, heißt das ja noch lange nicht, dass es nicht genügend Platz zum Shoppen gibt, nicht wahr? Wer braucht schon eine Wohnung, wenn es Armani gibt? Man bewegt sich hier nicht auf der Straße fort, sondern in Malls, die dank ihrer Größe alles, was wir bisher gesehen haben, in den Schatten stellen. Die Malls umgehen? Geht nicht. Um sich in der Stadt fortzubewegen ist man gezwungen, durch diese Konsumtempel zu wandern. So möchten wir eigentlich nur zur Fähre nach Hong Kong Island, sind uns aber schon bald nicht sicher ob wir bei Louis Vuitton auf der ersten Etage geradeaus, oder bei Gucci im Erdgeschoss links abbiegen müssen. Oder war es doch im Untergeschoss, wo es sämtliche Designerlabels als Kinderboutiquen für Dreijährige gibt? Es ist auch schwierig, hier irgendetwas auseinanderzuhalten, denn vor jedem Geschäft steht ein Dutzend junger gut betuchter Chinesen in Schlangen an, obwohl die Geschäfte leer sind. Während also die einen in Schuhkartons leben, kaufen sich die anderen die Schuhe. Shoppst du noch oder wohnst du schon?

Zwischen den sehr beeindruckenden Wolkenkratzern auf Hong Kong Island, findet sich die doch ein oder andere Grünfläche, auf der sich junge Familien zum Picknick einfinden. Auch in Soho erinnert nicht nur der Name an das Pendant in London oder New York. Stylische kleine Cafés, nette Geschäfte und auffallend viel Street Art an den Wänden lenken davon ab, dass es trotz der Millionen Menschen die hier leben, eine Geisterstadt ist. Keine Cafés in denen Freundinnen sich treffen, keine Paare die Hand in Hand durch die Gegend spazieren, oder Jogger, die in einem Park ihre Runden drehen. Stattdessen viele blasse Menschen, die mit ihrem Mundschutz durch die modrig riechenden Straßen ziehen und auf ihr Smartphone starren.

Als wir aus unserer Besenkammer auschecken, ist dafür ein junges Mädchen um die 12 verantwortlich. Nach einigem Suchen finden wir sie in einem etwa drei Quadratmeter großen Raum, im Bett sitzend. Sie steht auf, nimmt uns den Zimmerschlüssel ab und knallt uns die Tür vor der Nase zu. All das, ohne auch nur einmal von ihrem Handy aufzusehen.

Danke, Hong Kong.