Vom Schmalen Grat und Rückenwind.
Man sieht uns langsam an, dass wir bereits seit über einer Woche und 3000 Kilometern den Großteil unserer Zeit auf vier Rädern verbringen. Wir sind müde, können keine Autobahnrestaurants mehr sehen und auch die Landschaften um uns herum, lassen uns mittlerweile schon etwas kalt. Nach den langen Strecken freuen wir uns, es stehen lassen zu dürfen, und auch Gisela hat eine Pause bitter nötig.
Wir wohnen in Springdale, sozusagen die Talstation des Nationalparks. Geschäfte, Restaurants und ein paar kleine Hotels – mehr gibt es dort nicht zu sehen. Ein eigener Shuttle befördert alle wanderwütigen Gäste ins Zion Valley. Die Schlange ist auch um sechs Uhr Morgens schon beträchtlich.
„Wanderer“ in Flip Flops begegnen uns ebenso wie solche, bei denen wir uns nicht ganz sicher sind, ob sie ihren Anschlussflug nach Nepal vielleicht verpasst haben. Wir freuen uns auf eine richtige Wanderung! Mit Rucksack und zu Fuß, so wie wir es von zu Hause gewohnt sind. Das Härteste ist für uns natürlich gerade mal gut genug und so steigen wir bei einer der hinteren Stationen des Tals aus: Angels Landing soll die herausforderndste Wanderung sein, die dieses Naturwunder hergibt. Gute zehn Kilometer lang, teilweise mit Klettersteig. Laut Broschüre und Warnschilder sind Menschen dort oben schon gestorben. Das glauben wir bei den Flip-Flops-tragenden Alpinisten hier gerne.
Über zahlreiche (asphaltierte) Serpentinen geht es relativ steil bergauf und in eine Klamm hinein. Erd- und Streifenhörnchen sorgen für Aufregung und Fotofreude bei den Touristen.
Man erreicht nach etwa 45 Minuten eine Lichtung, es geht 500 Meter in die Tiefe – wir befinden uns bereits auf einem der zahlreichen Felsen. Engel sind hier noch keine gelandet, dafür gibt es Toiletten – auf einem Wanderweg! Unser Tiroler Wanderherz grinst. Die Stimmung beginnt alsbald zu wechseln, als sich unser Blick richtung Gipfel richtet: Entlang eines Felskamms führt ein schmaler Grat hinauf auf den obersten Felsen. Eine Stahlkette zum Festhalten sorgt ein Wenig für Sicherheit auf diesem schmalen Grat und ist auch bitter nötig: Unzählige „Wanderer“ ziehen sich an ihr verzweifelt nach oben, wie Ameisen die einen Ast hektisch rauf- und runterlaufen. Uns begegnen Menschen, die offensichtlich noch nie in ihrem Leben auch nur einen Meter gewandert sind. Unbeholfen brauchen sie Minuten um sich zu entscheiden, wo sie ihren Fuß als nächstes hinsetzen oder an welcher Kante sie sich als nächstes festhalten wollen. Die Angst steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Überall wo Platz ist, sitzen keuchende, schwitzende, völlig aus der Puste geratene Neo-Kletterer. „I can’t imagine coming down“ jammert eine Dame ihrem Begleiter vor. Eine andere, sichtlich bemüht auf einen der Felsen zu steigen, ruft ihrem hinter ihr gehenden Mann zu: „Push my ass, darling, push my ass. I can’t get up“. Der Begleiter drückt und schiebt mit vollem Krafteinsatz, als wolle er sie direkt auf den Gipfel katapultieren.
So pushed man sich hier also gegenseitig. Andere sitzen nur da, schauen nach oben, dann wieder nach unten. Sie erinnern ein bisschen an Kleinkinder, die auf eine Kommode geklettert sind und nicht mehr wissen, wie sie da jemals wieder runterkommen sollen.
Dennoch haben alle überlebt an diesem Tag und auch wir erreichen Angels Landing. Uns wurde nicht zu viel versprochen: Ein gigantischer Ausblick auf das Zion Valley belohnt uns für den, auch für unsere Verhältnisse, gar nicht so unanspruchsvollen Aufstieg. Entertainment inklusive. Die Dame mit „Rückenwind“ begegnet uns übrigens noch einmal. Ihr Mann geht mittlerweile voraus.